Bild: adobe / bearmoney
Was ist eigentlich die Reggio Pädagogik?
"Was genau ist die Reggio Pädagogik?" Auch wenn es verrückt klingt, diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Warum ist das so?
Die Reggio Pädagogik versteht sich als „ewige Baustelle“, die sich ständig im Wandel und in der Entwicklung befindet. Loris Malaguzzi, Wegbegleiter und Koordinator der Kindereinrichtungen in Reggio Emilia, hat bewusst keine konkreten Handlungsanweisungen formuliert und hinterlassen. Ihm war es wichtig, wenige Grundpfeiler und Überzeugungen der reggianischen Ideen zu beschreiben, die Gestaltung jedoch immer offen zu halten.
Wenn Fachkräfte also ein „So geht Reggio.“ erwarten, wenn sie sich mit diesem pädagogischen Ansatz beschäftigen, sind sie oft erst einmal irritiert. Mit der Reggio Pädagogik werden die fantastischen Räume und die Atelierarbeit verbunden. Die wahre Seite ist jedoch verborgen, denn es geht um eine tiefliegende pädagogische Haltung. Pädagogische Fachkräfte in der Reggio Pädagogik müssen immer bereit sein, sich selbst und ihre Arbeit in Frage zu stellen, unermüdlich im Dialog mit Kindern, Eltern, Kooperationspartnern und Kolleg:innen zu sein, sich selbst zurückzunehmen und eher als Beobachter:innen zu verstehen, zu dokumentieren und engagiert und kritisch zu bleiben. Die Reggio Pädagogik ist ein nachhaltiger Ansatz, denn er ist ausgerichtet auf ein Mehr an Humanität, Demokratie, Solidarität und Frieden. Auch die Team- und Elternarbeit wird hier nachhaltig gestärkt, denn die Reggio Pädagogik versteht sich selbst als Pädagogik des Werdens und des Zuhörens und ist auf Kooperation und Kommunikation ausgelegt. Um die Reggio Pädagogik besser zu verstehen, ist eine Auseinandersetzung mit ihrer Entstehungsgeschichte unbedingt nötig.
Was haben denn ein Panzer und die Reggio Pädagogik miteinander zu tun?
Die Frauen in Reggio Emilia fanden nach dem Krieg einen Panzer auf dem Feld. Sie entschieden gemeinsam, die Einzelteile zu verkaufen und den Erlös für das Wohl der Gemeinschaft einzusetzen. Das Geld wurde zum Aufbau der ersten Kinderbetreuung verwendet. Nach den Schrecken des Krieges war für die Reggianer klar, dass so etwas Schreckliches nie wieder geschehen dürfe, und so richteten sie ihr gesamtes Streben darauf aus. Diese Vision ist Triebkraft dieses pädagogischen Ansatzes, der durch Forschung und Dialog zukunftsorientiert die Welt verbessern möchte.
Reggio Pädagogik als nachhaltiger Ansatz in der Kita
Grundstein und Herz dieses pädagogischen Ansatzes sind die Rechte aller Beteiligten. Diese sind in den Grundsätzen der Reggio Pädagogik tief verankert. Zum Beispiel haben Kinder das Recht auf ihre individuelle Entwicklung. Eltern haben unter anderem das Recht auf ihre Beteiligung an der pädagogischen Arbeit. Zum Beispiel sind in allen Gremien zur Gestaltung des pädagogischen Alltags Elternvertreter (zum Teil mehr als Pädagog:innen) vertreten. Die Rechte von Erzieher:innen beinhalten das Recht auf konzeptionelle Mitgestaltung, Austausch und Fortbildungen.
Darauf ist jede Struktur der reggianischen Einrichtungen ausgelegt.
In reggianischen Einrichtungen ist alles auf Kooperation und Kommunikation ausgerichtet. Sogar die Räume werden so gestaltet, dass sie dazu anregen mit Erwachsenen, anderen Kindern und Dingen in den Dialog zu gehen. Die pädagogische Fachkraft spielt dabei eine zentrale Rolle: sie ist (Weg-)Begleiter:in, Forscher:in und Zeug:in. Sie ist auf der einen Seite aktiv, denn sie forscht und fragt gemeinsam mit den Kindern. Auf der anderen Seite ist sie zurückhaltend und beobachtend. Sie dokumentiert und gibt ausschließlich erweiternde Impulse. Hier liegt der Zauber dieses Ansatzes, der mit Neugier auf das, was Kinder tun, blickt und ein absolutes Vertrauen in die Fähigkeiten der Kinder hat.
Wer sich mit der Reggio-Pädagogik auseinandersetzt, dem fällt unweigerlich das Bild vom Kind mit seinen hundert Sprachen ins Auge. In der Reggio-Pädagogik ist man fest davon überzeugt, dass pädagogisches Denken und Handeln nie unbeeinflusst davon sind, welches Bild Pädagog:innen vom Kind haben. Deshalb besteht bei den Reggianern die Forderung, das Bild vom Kind immer wieder zu reflektieren, zu überprüfen, zu beschreiben und festzuhalten. Es geht einerseits darum, sich selbst eine Klarheit über das eigene Bild vom Kind zu verschaffen, zum anderen aber auch darum, dieses in der allgemeinen Öffentlichkeit und den Eltern gegenüber erläutern zu können.
Für die Reggianer haben Kinder hundert (und hundert, und hundert, und hundert) Sprachen. Das bedeutet: Kinder haben unendlich viele Möglichkeiten, die Welt wahrzunehmen, ihre Anschauungen und Vorstellungen von der Welt sowie ihre Gefühle auszudrücken und in Interaktion mit ihr zu treten. Diese hundert Sprachen sollen als vielfältige, verbale und nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten verstanden werden, die sich während der Zusammenarbeit und durch die Interaktion der Kinder miteinander und mit Erwachsenen immer wieder umwandelt und multipliziert. In der Reggio-Pädagogik besitzt jedes Kind außerordentliche Potentiale und ist Schöpfer seiner vielfältigen Lernprozesse. Dieses Bild vom Kind in der Reggio-Pädagogik ist Grundlage für die Rolle der pädagogischen Fachkräfte und aller Menschen, die in der Begleitung der Kinder von Bedeutung sind. Erwachsene haben die Verantwortung, alle verbalen und nonverbalen Sprachen der Kinder wahrzunehmen, auszuwerten, zu reflektieren und diese weiterzuentwickeln. Dies verdeutlicht auch die große Bedeutung der Beobachtung, Auswertung und Dokumentation der Ausdrucksformen der Kinder in reggianischen Einrichtungen.
Die Dokumentation wird als „öffentlicher Ort“ betrachtet und ist Grundlage weiteren Austauschs. So wird sichergestellt, dass fortlaufend neu gelesen, reflektiert, interpretiert und bewertet werden kann und eine optimale Förderung der Kinder möglich wird. Die Erzieher:innen sind für Materialauswahl und Gestaltung der Dokumentationen verantwortlich. Sie verbringen viel Zeit und Diskussionen damit, die passenden und aussagekräftigsten Materialien auszuwählen und zu präsentieren. Die Beobachtung ist nur ein Teilaspekt der vielfältigen Tätigkeiten, mit denen die Erzieher:innen versuchen, hinter die Beweggründe und Lernwege der Kinder zu blicken. Für reggianische Erzieher:innen passt eher der Begriff „Sammler:in“ als Beobachter:in. Die hohe Qualität der Dokumentationen und die Sorgfalt, mit der sie erstellt und weiterentwickelt werden, ist sehr beeindruckend. Die „Sprechenden Wände“ zeugen mit Fotos, Werken der Kinder, Texten, Zitaten und Kommentaren von den vielfältigen Lern- und Erfahrungsprozessen der Kinder.
Räume in der Reggio Pädagogik
„Schillernde Aquarien“, so werden reggianische Räume oft bezeichnet. Der Raum ist in der Reggio Pädagogik ein wichtiger Teil des pädagogischen Konzeptes. Er umfasst mehr als nur die Räume und die Ausstattung der einzelnen Kindereinrichtung. Zum pädagogisch wirksamen Raum gehört vielmehr auch das Ganze von den Kindern erreichbare Umfeld: die Straßen, Plätze und öffentlichen Gebäude der Stadt ebenso wie die Reste von Natur in der Stadt und an ihrem Rand: Parks, Gärten, Äcker, Wiesen, Teiche und Wasserläufe. Mit ihrer Präsenz im Alltagsleben der Stadt bringen sich Kinder in die Welt der Erwachsenen ein und kommunizieren mit ihr. Die Innen- und Außenräume in reggianischen Krippen und Kindertagesstätten sind so konzipiert und organisiert, dass sie miteinander verbunden sind und somit Interaktion, Kommunikation, Entdeckungen, Neugier und damit Autonomie möglich machen und herausfordern. Sie stellen Orte des Zusammenlebens und des selbstständigen und gemeinsamen Forschens und Entdeckens für Kinder und Erwachsene dar. Die Lernumgebung interagiert dabei ständig und passt sich den Lernerfahrungen von Kindern und Erwachsenen an und verändert ihre Gestalt.
Es gibt noch so viel mehr über die Reggio-Pädagogik zu berichten, z. B. über die Bedeutung des Spiels, vor allem dem Spiel mit Licht und Schatten und das Puppenspiel - das Herzstück dieser Pädagogik - die Projektarbeit, die Organisation des Tages, die REMida u. v. m. Aber vielleicht sind Sie ja neugierig geworden und forschen weiter nach diesem wunderbaren pädagogischen Ansatz und machen sich selbst auf den reggianischen Weg.
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In der Reggio-Pädagogik ist man fest davon überzeugt, dass pädagogisches Denken und Handeln nie unbeeinflusst davon sind, welches Bild Pädagog:innen vom Kind haben.
Über die Autorin:
Peggy Sarnowsky-Bresnik, freiberufliche Referentin mit den Schwerpunkten Bildung und Erziehung der frühen Kindheit und Kitamanagement sowie Coach für Einzelpersonen und Teams.
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